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XYNN - ES LEBE DIE
APOKALYPSE!
von: MICHAEL FUCHS-GAMBöCK
"Ein Angriff auf alle Sinne" ... "eine
schaurig-groteske Zukunftsvision" ... die "Warnung vor dem Untergang", so
schrieb die Presse einst über das Projekt XYNN. Und: "Die XYNN-Show
wird, solange es eine Welt gibt und eine Menschheit, keinen Funken an
Aktualität verlieren."
XYNN ist das Pseudonym des
Multimediakünstlers Michael Winter. Der inzwischen Mitt-60er aus
Süddeutschland konzipierte Ende der 1970-er eine unvergleichliche,
rasante, aber auch düstere "Show, in welcher er Musik, Text, Licht,
Filmprojektionen, Pantomime und Theaterfragmente mit Masken und Kostümen
verband." So das Internet-Portal
"wikipedia".
"Musik und Text sind für mich die
Grundlage einer Gesamtaussage, die dann bei der Performance durch den
Einsatz aller Elemente der sinnlichen Wahrnehmung verdichtet wird",
erklärt Michael Winter. So ließ er z.B. beim Titel
"Radioactive Raindrops", anfangs fast unbemerkt, Wassertropfen aufs
Publikum fallen. "Inhaltlich stand stets Gesellschaftskritik im
Vordergrund, etwa die Umweltproblematik oder die innere Vereinsamung des
Menschen in einer übertechnisierten Zeit." XYNN – ein Visionär? "Nein,
die Dinge lagen damals schon auf der Hand, man wollte sie nur nicht
wahrhaben. Die meisten dieser "Visionen" haben uns längst eingeholt:
Tschernobyl, PCs und Handys, die Schulreform ... "Computed
Man".
"Und weil XYNN und sein Konzept bis heute
nichts an Aktualität verloren hat, werden jetzt alle drei produzierten
Alben dieses ungewöhnlichen und spannenden Projekts neu veröffentlicht,
komplett und digital remastered. "Dreams About Reality" erschien 1980,
"Computed Man" ein Jahr später, und "Lost In Space", das in einer
englischen und deutschen Version aufgenommen wurde, 1983. Michael Winter
dazu: "Meine ersten beiden LPs sind Konzeptalben mit inhaltlichem Bogen
und fließenden musikalischen übergängen. Sie sollten im Zusammenhang
gehört werden. Bei "Lost In Space" dagegen ist jedes Stück für sich auf
den Punkt gebracht. Das Album ist absolut zeitgemäß und erzeugt bei mir
heute noch eine Gänsehaut."
Wegen der Komplexität der
Musik wurde von manchem hinter XYNN eine Band vermutet. Die gab es nie.
Aber es gab hochkarätige Mitstreiter, die ihn im Studio unterstützten.
Allen voran der Keyboarder Kristian Schultze, der auch die Arrangements
übernahm, und der Ausnahme-Trommler Curt Cress, der bei den letzten
beiden Alben dabei war. "Es war eine geniale Besetzung, die meiner Musik
unglaubliche Glanzlichter aufsetzte", schwärmt Winter. "Ich bin bis
heute dankbar dafür."
Michael Winter hat in XYNN die
verschiedensten Einflüsse seiner Zeit zu etwas ganz Neuem verarbeitet:
Roxy Music, Kevin Ayers, Pink Floyd und Peter Gabriel, für dessen
Tournee er auch als Opening Act im Gespräch war. "Eigentlich komme ich
aus der Folkrock-Ecke und stieß Ende der Sechziger zur
Protest-Bewegung", schildert Winter seinen musikalischen Werdegang.
"1972 schrieb ich die ersten eigenen Songs und trat damit in Clubs und
Diskotheken auf. Bald kamen Kostüme, Tonbandeinspielungen und
Dia-Projektionen dazu. Die Protestsongs mutierten zu New Wave und dann
zum Progressive Rock. 1979 war ich Teil von Marianne Sägebrechts
verrückter "Rainbow Family" und ihrer legendären "Opera Curiosa". Danach
entstanden drei weitere XYNN-Shows, multimedial erweitert und
perfektioniert, und ich hatte damit über 300 Auftritte in Deutschland,
österreich, der Schweiz und den Niederlanden.
"XYNNs
Live-Shows in Verbindung mit seiner originären Musik waren wegweisend
für die damalige Szene. Deshalb wurde ihm von den Medien gerne das
Prädikat "deutscher David Bowie" verliehen. Als Michael Winter 1995,
also 15 Jahre danach, die "XYNN-Revival-Show" auf die Bühne brachte,
schrieb die "Passauer Neue Presse": "Ob als Pantomime oder als
abgewrackter Rocksänger, ob als Flower-Power-Heilewelt-Barde oder
Astronaut - Faszination und Ernüchterung durch Illusion: Winter
jongliert mit Licht- und Geräuscheffekten so gekonnt und hemmungslos wie
mit den Emotionen des Zuschauers. Die Xynn-Show ist ein gut
zweistündiger, stellenweise wie mit dem Presslufthammer verdichteter,
multimedialer, hochkalorischer Festtagskuchen, der alle Sinne bis aufs
äusserste strapaziert - aber auch reizt! Und mundet, bis man meint, man
platzt." Winter meinte dazu nur lakonisch: "Ich habe den Faden von
damals einfach wieder aufgenommen."
Gab es auch
Kritik an XYNN? "Aber ja! Vornedran die Verweigerung meiner Person. Das
Publikum will ein Idol auf der Bühne, dem es zujubeln kann. Das war aber
mit dem Konzept der XYNN-Show nicht vereinbar. Die Aussage sollte im
Vordergrund stehen, nicht der Künstler. Deshalb agierte ich auch mit
Masken und Kostümen. Und ... es gab keine Zugabe. Die Show lief ab wie ein
Film und am Ende war alles gesagt. Obwohl ich den Zeigefinger immer
vermied, jeder sollte selbst seinen Standpunkt zu den Dingen finden,
kamen einige Sequenzen für manche wohl sehr provokant rüber. Das löste
Aggressionen aus und so flogen doch ab und zu Bierflaschen auf die
Bühne."
Eine explosive Show und eine explosive
Musik-Karriere, und dann? "Tja ... dann kamen die Musikkassetten auf den
Markt und die Plattenindustrie ging in die Knie. Es war kein Geld mehr
da für Avantgarde-Projekte. Ohne Firmen-PR war XYNN live schwer
durchzuziehen. Aber ich hatte zu der Zeit schon mein Fable für das
alternative Theater entdeckt. Einige Elemente davon waren ja bereits in
den XYNN-Shows enthalten und so war der übergang fast nahtlos. Ein neues
Feld, auf dem es viel zu entdecken gab und das meine Kreativität
herausforderte. Und eine schöne Parallele: Auch hier muss man am Anfang
das Publikum an der Hand nehmen und es sorgsam durch alle Höhen und
Tiefen führen bis der letzte Vorhang fällt."
Warum
ist gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen, XYNN wieder ins Licht der
öffentlichkeit zu rücken? "Es passt! Die Retro-Welle zeigt es. Man
erinnert sich an die Qualitäten längst vergangener Jahre, verarbeitet
sie und schafft Neues daraus. Auch die Bereitschaft zu kritischem Denken
ist zurückgekehrt. Musikalisch wie inhaltlich passt XYNN hier bestens
ins Bild. Nur ... XYNN ist keine Avantgarde mehr, seine Musik ist
zeitgemäßer Pop, und das ist gut so. XYNN ist nach 35 Jahren im
Mainstream angekommen, und das im besten Sinne des
Wortes."
Dann kann man sicher bald irgendwo die
"ultimative XYNN-Revival-Show" sehen?! Winter darauf lächelnd: "No
comment!" ... und man bekommt den Eindruck nicht los, dass er nach dem
nächsten Interview sagen wird: "Ich habe die Fäden von damals einfach
wieder aufgenommen!"
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